Bild: links Wikimedia Commons, PEGIDA-Demonstration Dresden 2016. Rechts: Stern Titel-Cover
Liebe PEGIDA-Anhänger und auch liebe PEGIDA-Gegner,
15. Oktober 2017
Wie die Medien euch zwei Gruppen von der Wahrheit ablenken und geschickt ein doppeltes Spiel spielen. Ein offener Brief.
Anmerkung: Dieser Text erschien in anderer Fassung bereits am 28. Dezember 2014 auf meiner damaligen privaten Facebook-Seite zum Thema PEGIDA.
Ihr verspürt das berechtigte Gefühl, dass irgendetwas in diesem Land nicht richtig läuft. Ihr merkt, dass man trotz ehrlicher Arbeit auf keinen grünen Zweig kommt. Trotz eines Studiums und etlicher unbezahlter Praktika man vielleicht doch noch kellnern muss. Trotz guter Begabung der eigenen Kinder man vielleicht doch nicht deren spätere Ausbildung finanzieren kann. Trotz vielleicht jahrzehntelanger harter Arbeit doch viele in Altersarmut versinken...
PEGIDA und die Soziale Angst
Kurzum: Ihr verspürt ein latentes Gefühl von sozialer Angst. Für dieses Gefühl der ständigen Angst vor der Zukunft ist Deutschland im Ausland berühmt. Man spricht dort von der sogenannten „German Angst“. Verwirrt suchen wir nach den Verursachern und begehen in der Logik unserer individualistischen, hierarchischen Kultur den immer gleichen Fehler: Wir solidarisieren uns nach oben und treten nach unten…
Und man kann es uns noch nicht einmal übel nehmen, denn unsere Zeitungen und Fernsehsender unterstützen und bestärken uns heimlich dabei. Und sie machen dies so geschickt, dass es den wenigsten auffällt.
Widerspruch in der Medien-Berichterstattung
Die Medien haben den Wind gesät. Beginnend mit dem 11. September 2001 warnten sie uns ständig vor islamistischen Terroristen. Teils unterschwellig, teils ganz offen schraubten sie am Feindbild Islam. Sie redeten von Osama bin Laden, vom „Kalifen von Köln“ und warnten uns vor gewaltbereiten Muslimen in Deutschland. Sie berichteten uns von jungen deutschen Fanatikern, die sich dem Islamischen Staat im Nahen Osten anschlossen und von ISIS-Rückkehrern.
Das Wort „Islam“ in einem oben abgebildeten Cover durch „Judentum“ ersetzen? In Deutschland würde die Hölle losbrechen…
Etliche Islam-Kritische Titel-Cover, Zeitungsartikel und politische Talkrunden später ist es geschafft: die Saat ging auf. Der Sturm wird geerntet. Ihr versammelt euch auf PEGIDA-Kundgebungen. Doch schon im gleichen Augenblick hauen die Medien auf euch Bürger ein, die Angst vor islamischen Fanatismus haben. Es mag einem schwindlig werden – wie ist dieser Widerspruch zu erklären?
Perfide Logik der „Leitmedien“
Vielleicht ist es ja gar kein Widerspruch, sondern ein gewolltes massenmediales Programm: Ihr Bürger sollt euch ruhig über Migranten und muslimische Ausländer aufregen! Dann können sich nämlich andere Bürger über euch Rechte aufregen und die Medien darüber berichten.
Der Begriff „Leitmedien“ ist ein sehr treffender. Denn subtil „leiten“ sie uns an, über was wir wie zu denken haben. Über das WIE lässt sich da teilweise noch streiten. WIE berichten die Medien über ein bestimmtes Thema? Aber wie sieht es mit dem WAS aus? WAS für Themen finden sich überhaupt in den Medien wieder und welche werden totgeschwiegen?
Geld- und Finanzsystem — Über was nicht berichtet wird
Denn was ist, wenn wir uns einmal über andere Dinge streiten? Etwa über ein Wirtschafts- und Finanzsystem, dessen Geld- und Vermögensverteilung nur eine Richtung kennt: von unten nach oben. Ein System, das gigantische Gewinne privatisiert, aber noch gigantischere Verluste solidarisiert.
Was, wenn wir darüber streiten, dass die Politiker nicht mehr im Sinne einer Mehrheit des Volkes entscheiden? Dass auf einen Bundestags-Abgeordneten drei Lobbyisten kommen? Was, wenn wir mal nicht über ein unwichtiges Thema wie Autobahn-Maut streiten?
Was, wenn wir mal darüber streiten, ob die Alpha-Journalisten nicht ihre kritische journalistische Distanz verloren haben? Etwa durch ihre Mitgliedschaft in den gleichen Organisationen wie unsere Alpha-Politiker und Wirtschaftsvertreter? Ob die Leitmedien darüber berichten?
Soziale Distinktion — Jeder grenzt sich von jedem ab
Gibt es eine unsichtbare Kraft, die uns alle voneinander teilen und abgrenzen lässt? Ein Arbeitgeber grenzt sich vom Arbeitnehmer ab, ein Student vom Azubi, ein Gymnasiast vom Realschüler, ein Arbeitnehmer vom Arbeitslosen, ein Arbeitsloser vom Obdachlosen oder Migranten. Und ganz oben? Grenzt sich ein Milliardär auch noch vom Multi-Millionär ab, weil letzterer sich eine 80-Meter-Yacht nicht leisten kann?
Wann hört in dieser Nahrungskette eigentlich das Streben nach mehr Reichtum, Macht, Einfluss und Abgrenzung nach unten auf? Stellen wir doch mal ernsthaft die Frage: wieviel Gelder nehmen uns die Arbeitslosen, Migranten, Alte, Körperlich Eingeschränkte wirklich weg?
Und wenn wir alle diese Gruppen von einem auf den anderen Tag in Deutschland nicht mehr hätten – würde das freigeschaufelte Geld ans Volk zurückfließen? Oder hätte der Bund dann nicht neue Gelder für Rüstungsausgaben oder für Rettungspakete in riesiger Millarden-Höhe übrig
Sitzen nicht nur Flüchtlinge, sondern wir alle im selben Boot?
Vielleicht sitzen wir doch alle in einem Boot! Wir Angestellte, Arbeiter, Mittelschicht-Unternehmer, Schüler, Familien, Studenten, Flüchtlinge, Kinder, Rentner, Migranten, Kranke. Und vielleicht gibt es Kräfte in diesem Land, die uns glauben mach wollen, dass jeder alleine in seinem eigenen kaputten Boot sitzt.
Und vielleicht sitzen die anderen um uns herum in einem etwas heileren, minimal größeren Boot. Und wir spielen mit dem Gedanken, es zu entern. Und wir alle, die wir in Küstennähe schwimmen, konzentrieren uns nur auf die kleinen Nussschalen der anderen.
Und so sehen wir nicht, wie weit draußen im offenen Meer die riesigen Luxusliner und Kreuzfahrtschiffe unbemerkt an uns vorüberziehen.