Bild: UN. Boliviens Gesandter, Sacha Lorenti, im Sicherheitsrat vom 07.04.2017
Völkerrechtswidriger US-Angriff auf syrische Luftwaffenbasis
10. April 2017
Der Angriff des syrischen Militärflughafen durch US-Präsident Donald Trump ist nach Meinung vieler Kritiker völkerrechtlich illegal. Im UN-Sicherheitsrat erinnerte der Gesandte Boliviens zum vermeintlichen Giftgas-Angriff durch Assad an die Lüge der Massenvernichtungswaffen im Irak.
Mit 59 Marschflugköpern vom Typ 'Tomahawk' greift US-Präsident Donald Trump am 07. April 2017 um 03:40 Uhr Ortszeit den syrischen Militärflughafen al-Schairat an. Kritik am Verhalten der Vereinigten Staaten wird laut, weil der Vorwand eines Giftgas-Angriffes durch Assad bisher nicht bewiesen ist. Da der UN-Sicherheitsrates hierfür kein Mandat erteilte, ist dieser Angriff völkerrechtlich illegal. Die Geschichte zeigt, dass dies nicht zum ersten Mal geschieht. In einer denkwürdigen Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates erinnerte der Gesandte Boliviens, Sacha Lorenti, an die vermeintlichen Beweise Colin Powell's zu irakischen Massenvernichtungswaffen.
Nachdem die USA syrische Regierungstruppen mit Marschflugkörpern direkt angriffen, äußerte sich Präsident Donald Trump in einer kurzen Ansprache an die US-Bevölkerung zum Militärschlag: „Am Dienstag hat der syrische Diktator Baschar al-Assad einen schrecklichen Chemiewaffenangriff auf unschuldige Zivilisten verübt.“ Trump erklärte wörtlich: „Sogar wunderschöne Babys wurden brutal ermordet bei dieser sehr barbarischen Attacke.“ In seiner Rede appellierte er an die Welt: „Heute Abend rufe ich alle zivilisierten Nationen auf, sich uns anzuschließen, um dieses Abschlachten und Blutvergießen in Syrien zu beenden und um den Terrorismus in all seinen Arten und Ausprägungen zu stoppen.“
Zwei Tage zuvor wurde im UN-Sicherheitsrat heftig der syrische Giftgas-Angriff in der Provinz Idlib debattiert (wir berichteten am 6. April). Während die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley Bilder von Opfern hochhielt, dabei das Assad-Regime beschuldigte und einen „Alleingang“ der USA ankündigte, wiesen der syrische und russische Vertreter in der Sitzung die Schuld entschieden zurück.
Das Nicht-Zustande-Kommen einer Resolution gegen Syrien, bezeichnete die deutsche Bundeskanzlerin Merkel als eine „Schande“. Bezüglich der amerikanischen Reaktion erklärte sie, der Präsident Baschar al-Assad trage „die alleinige Verantwortung für diese Entwicklung“.
Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz äußerte, dass mit den US-Luftangriffen die Fähigkeit des Assad-Regimes, „weitere Kriegsverbrechen zu begehen, eingeschränkt werden“ solle. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel sprach von einem „Versagen des Weltsicherheitsrates“ und sieht den Schuldigen klar benannt: „Dass die Vereinigten Staaten jetzt mit einem Angriff gegen die militärischen Strukturen des Assad-Regimes reagiert haben, von denen dieses grausame Kriegsverbrechen ausging, ist nachvollziehbar."
Kritische Reaktionen auf den US-Luftangriff
Die syrische Regierung in Damaskus hat den amerikanischen Angriff auf ihren Luftwaffen-Stützpunkt als „dumm und unverantwortlich“ verurteilt. Für sie zeige die Aktion der Vereinigten Staaten deren „Kurzsichtigkeit und politische und militärische Blindheit für die Realität“. Dass die syrische Regierung Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt habe, bezeichnete sie als eine „falsche Propagandakampagne“.
Auch der russische Präsident Waldimir Putin verurteilte „die Aggression gegen einen souveränen Staat, gegen das Völkerrecht“ scharf. Sein Sprecher Dimitri Peskow stellte noch deutlicher klar: „Dieser Schritt Washingtons beschädigt signifikant die russisch-amerikanischen Beziehungen, die sich ohnehin in einem kläglichen Zustand befinden“. Der russische Außenminister Lawrow verglich die Attacke mit der US-Invasion im Irak: „Das erinnert alles an die Lage 2003, als die USA und Großbritannien mit ihren Verbündeten in den Irak einmarschiert sind ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates“.
Verstoß gegen das Völkerrecht und Streit im UN-Sicherheitsrat
In Hinsicht auf den US-Luftangriff, steht Putin mit der Anmerkung bezüglich des Verstoßes gegen das Völkerrecht nicht alleine da. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn erklärte, dass Trumps militärischer Angriff illegal ist:
"Problematisch an dem Angriff der USA auf eine Luftwaffenbasis der syrischen Armee ist aber, dass solche Einsätze völkerrechtlich nur mit einer Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat erfolgen dürfen. Das war hier nicht der Fall."
Stefan Ulrich schreibt in der Süddeutschen Zeitung zu Trump's Militärschlag:
- „Die Charta der Vereinten Nationen billigt den Einsatz von Gewalt nur dann, wenn ein angegriffener Staat sich verteidigt oder der UN-Sicherheitsrat den Militärschlag genehmigt.
- Trump, der das Sicherheitsinteresse der USA in Syrien bedroht sieht, kann sich auf keines der beiden Prinzipien berufen.“
Der Verweis auf die Lage 2003 im Irak kam auch in der letzen Sitzung des UN-Sicherheitsrates in einer denkwürdigen Art und Weise zur Sprache. In Reaktion auf die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley zeigt nun der bolivische UN-Botschafter Sacha Llorenti ein Bild in die Höhe. Darauf zu sehen ist der frühere US-Außenminister Colin Powell, welcher am 5. Februar 2003 im Sicherheitsrat ein Röhrchen mit angeblichen Anthrax-Erregern hochhielt und dies als ein Beweis für irakische Massenvernichtungswaffen erklärte.
Powell bezeichnete dies später selbst als den „Schandfleck“ seiner Karriere und entschuldigte sich dafür. Der UN-Botschafter Boliviens kritisiert, dass schon damals vermeintlich „überzeugende Beweise“ der Weltöffentlichkeit präsentiert wurden, um einen amerikanischen Angriff zu legitimieren. In der Folge dieser Invasion, so Llorenti, „gab es eine Million Tote“ und „eine Reihe weiterer Gräueltaten“ in dieser Region. Rhetorisch fragt er: „Würden wir heute überhaupt über den IS reden, wenn es diese Invasion nicht gegeben hätte?“
USA brachen das Völkerrecht schon mehrmals – auch in Syrien
Ein Angriff ohne UNO-Mandat ereignete sich nicht zum ersten Mal. Laut dem Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser „ist es seit der Gründung der UNO 1945 wiederholt zu illegalen Angriffskriegen gekommen. In vielen Fällen, darunter Irak 2003, Afghanistan 2001, Serbien 1999, Vietnam 1964, und Kuba 1961, war das US-Imperium der Aggressor.“ Er erklärt, dass in Syrien gegenwärtig die russischen Luftabwehrsysteme S-300 und S-400 stationiert sind, welche am 7. April beim US-Angriff jedoch nicht die amerikanischen Tomahawks abfingen. Die Amerikaner hätten vor dem Luftschlag Russland informiert. Dennoch, so Ganser, „bleibt die indirekte Konfrontation der Atommächte brandgefährlich und erinnert an die Kubakrise 1962“.
Für den Islamwissenschaftler, Politikberater und langjährigen ehemaligen Nahost-Korrespondenten Michael Lüders trägt der Westen „einen erheblichen Anteil“ an der Syrienkrise. „Zunächst einmal gibt es eine lange Putschgeschichte der USA in Syrien.“ So war „der erste Militärputsch, den die CIA überhaupt seit ihrem Bestehen 1947 durchgeführt hat, in Syrien“. 1949 gab es laut Lüders einen „erfolgreichen Putsch, weil die damalige Regierung dem Bau einer Pipeline nicht zustimmen mochte“. In den 50er Jahren gab es zwei weitere Putsche, welche dazu führten, „dass sich Syrien eng an die Sowjetunion anlehnte“ – diese „engen Beziehungen zu Moskau“, so der Nahost-Experte, „sind bis heute geblieben“.
Außerdem macht er darauf aufmerksam, dass seit Beginn des Syrienkrieges ab Ende 2011 „massivste, vor allem amerikanische, türkische und saudische Waffenlieferungen in Richtung Rebellengruppen“ stattfanden. Problematisch daran ist, dass eben jene Rebellen „zum überwiegenden Teil dschihadistische Gruppierungen sind, beispielsweise die Nusra-Front, der Al Qaida-Ableger“. Ohne eine derartig „massive Unterstützung dieser dschihadistischen Rebellen“, so schlussfolgert Lüders, „hätte der Krieg in Syrien niemals ein so katastrophales Ausmaß angenommen mit der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Ende des zweiten Weltkrieges“.
Mangelnde Beweislage zum Giftgas-Angriff durch Assad
Michael Lüders relativiert in der Sendung „Markus Lanz“ nicht nur das allgemeine Bild von einem in den „Mainstream-Medien“ dargestellten „syrischen Bürgerkrieg“ und spricht stattdessen von einem „Stellvertreterkrieg“, auf den „viele Akteure einwirken“. Auch die Beweislage für den Giftgas-Angriff in Syrien zulasten von Machthaber Assad betrachtet er kritisch. Sowohl bei den westlichen Politikern wie auch bei den großen Leitmedien dominiert jedoch das Bild vom syrischen Präsidenten als dem Schuldigen. Eine Lesart, die der deutsche Journalist und Spiegel-Erbe Jakob Augstein in einem Tweet kritisiert:
Aber das fehlt in den dt Medien beinahe vollständig: Abwägung. Es ist, als ob die Kollegen WÜSSTEN, dass es Assad war. Woher?
— Jakob Augstein (@Augstein) April 8, 2017
Bei dem Angriff auf die syrische Stadt Chan Scheichun starben mindestens 85 Menschen, wobei die Opfer laut WHO „Einwirkungen von Chemiewaffen“ aufwiesen. Die syrische Regierung dementierte den Einsatz derartiger Waffen. 2013 unterzeichnete das Land die Chemiewaffen-Konvention und vernichtete laut dem stellvertretenden syrischen Außenminister Faisal Makdad 2015 sämtliche chemischen Waffenbestände der syrischen Armee.
Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erklärte im Oktober 2013, dass unter ihrer Aufsicht „alle Produktionsanlagen für C-Waffen im Land fristgemäß zerstört wurden“. Laut russischer Regierung gehe aus „objektiven Daten“ der Luftraumüberwachung hervor, dass die syrische Luftwaffe bei einem Angriff auf die Stadt Chan Scheichun ein „großes Lager von Terroristen“ mit Giftstoffen getroffen hat.
Schon im Jahr 2013 kam es in Syrien zu einem sehr folgenschweren Giftgas-Anschlag bei Ghouta in der Nähe von Damaskus, bei dem Schätzungen zufolge über 1000 Menschen am Nervengas Sarin starben. Ein Jahr zuvor aber, im August 2012, drohte bereits der damalige US-Präsident Barack Obama dem syrischen Machthaber Assad mit einer militärischen Intervention, „wenn eine ganze Menge chemischer Waffen bewegt oder eingesetzt werden.“ In einem solchen Fall, wäre für Obama „eine rote Linie überschritten“.
Der u.a. mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete amerikanische Investigativ-Journalist Seymour Hersh machte im Artikel „Wessen Sarin?“ Anfang 2014 deutlich, dass für den syrischen Giftgas-Anschlag bei Ghouta 2013 sehr wahrscheinlich nicht das Assad-Regime verantwortlich war. So legten US-Geheimdienstbelege nahe, „dass sich die al-Nusra-Front, eine dschihadistische Gruppe, die mit al-Kaida verbunden ist, die Herstellungsweise von Sarin-Gas zu eigen gemacht hatte und in der Lage war, es in größeren Mengen herzustellen.“ Laut Hersh nutzte die US-Administration aber „die Geheimdienstinformationen sehr wählerisch, um einen Schlag gegen Assad zu rechtfertigen“.
Bei dem jüngsten Giftgas-Vorfall in Chan Scheichun hält der Nahost-Experte Jürgen Todenhöfer, der regelmäßig aus der Region berichtet und seine Erlebnisse im Islamischen Staat in einem Buch veröffentlichte, beide Seiten als Verursacher des Angriffs für möglich – das Assad-Regime wie auch die Rebellen. Der Politikwissenschaftler Michael Lüders stellt fest: „Solche Giftgas-Anschläge erfolgen regelmäßig im Umfeld von großen Syrien-Konferenzen“. Dies, so spekuliert er, könnte deshalb geschehen, „um den internationalen Druck auf Machthaber Assad in die Öffentlichkeit zu bringen“.
Gefahren einer Eskalation des Syrien-Krieges
Die komplizierte Gemengelage in Syrien sowie die Beteiligung vieler Akteure macht diesen Krieg so gefährlich. Der Nahost-Experte Günter Meyer von der Universität Mainz gibt zu bedenken: „Sollten die USA ohne eine Absprache mit Russland versuchen, die Absetzung von Assad militärisch durchzusetzen, dann könnte das verheerende Folgen für Syrien haben.“ Nahost-Experte Michael Lüders warnt:
„Was, wenn es weitere Angriffe gibt und beispielsweise ein russisches Flugzeug – und sei es versehentlich – abgeschossen wird? Dann haben wir sehr schnell eine sehr gefährliche Konstellation, die jederzeit eskalieren kann.“
Auch der Friedensforscher und Historiker Ganser gibt zu bedenken: „Ein Showdown zwischen Trump und Putin muss unbedingt verhindert werden. Was wir jetzt brauchen, sind Deeskalation sowie die Besinnung auf die Prinzipien der UNO-Charta.“
In einer Umfrage für die BamS, welche am Freitag durchgeführt wurde stehen von 500 befragten Deutschen weniger als ein Drittel hinter den US-Angriffen gegen Syrien. Fast 60 Prozent dagegen halten den Luftschlag für nicht richtig. Nach der Umfrage hat beinahe jeder Zweite Sorge, dass es zu einem militärischen Konflikt zwischen den USA und Russland kommen könnte.